Mittwoch, 23. April 2014

Welttag des Buches

Altes Medium

Was Sie vor Augen haben,
meine Damen und Herren,
dieses Gewimmel,
das sind Buchstaben.
Entschuldigen Sie.
Entschuldigen Sie.
Schwer zu entziffern,
ich weiß, ich weiß.
Eine Zumutung.
Sie hätten es lieber audiovisuell,
digital und in Farbe.

Aber wem es wirklich ernst ist
mit virtual reality
sagen wir mal:
Füllest wieder Busch und Tal*,
oder: Einsamer nie
als im August**, oder auch:
Die Nacht schwingt ihre Fahn***,
der kommt mit wenig aus.

Sechsundzwanzig
dieser schwarz-weißen Tänzer,
ganz ohne Graphik-Display
und CD-ROM,
als Hardware nur ein Bleistiftstummel -
das ist alles.

Entschuldigen Sie.
Entschuldigen Sie bitte.
Ich wollte Ihnen nicht zu nahe treten.
Aber Sie wissen ja, wie das ist:
Manche verlernen es nie.

Hans Magnus Enzensberger

*Erste Zeile aus dem Gedicht "An den Mond" von Johann Wolfgang von Goethe (1749-1832)
**Erste Zeile aus dem Gedicht "Einsamer nie" von Gottfried Benn (1886-1956)

***Teil der ersten Zeile aus dem Gedicht "Abend" von Andreas Gryphius (1616-1664)

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