Dienstag, 4. März 2014

Ein ganz gewöhnliches Leben

Der Philosoph Matthias C. Müller wendet sich gegen den Zeitgeist, der uns allen suggeriert, wir müssten etwas Besonderes sein. Das Gegenteil ist der Fall: Nur wer es wagt, gewöhnlich zu sein, und sich dem Zwang zum Ungewöhnlichen entzieht, lebt ein gutes Leben.

"Ich glaube, man sollte zwischen mehreren Bedeutungen des gewöhnlichen Lebens unterscheiden. Ganz direkt betrachtet, ist das gewöhnliche Leben eben dieses alltägliche Leben in seinem unabwendbaren Auf und Ab, mit seinen Freuden und Ärgernissen. Hierzu gehören das anregende Gespräch mit einer Passantin auf der Straße und der unangenehme Gang zum Zahnarzt, ein kulinarischer Genuss und die Schüchternheit beim Besuch einer Party.
Das gewöhnliche Leben ist aber aus einer sprachgeschichtlichen Perspektive auch das wohnende Leben - "gewöhnlich" verweist zurück auf das Wort "wohnen". Und wohnen meint eigentlich sich auskennen, bleiben, in der Nähe sein - und das empfindet man als etwas Angenehmes. Wer in dieser Weise ein gewöhnliches Leben führt, der weiß, wo er zu Hause ist. Entsprechend ist das ungewöhnliche Leben ein Leben, indem man sich überhaupt nicht auskennt, in dem man verloren ist.
Wenn man sich anhand dieser Andeutungen das gewöhnliche Leben vor Augen führt, dann erkennt man, dass es - weit davon entfernt, minderwertig oder gar bedeutungslos zu sein - eigentlich etwas Erstaunliches ist, ja dass es im Grunde ein erhabenes Phänomen ist."
- Psychologie Heute - Heft 33 -

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