Montag, 23. Juni 2014

Anerkennung

Anerkennung. Was genau ist das? Es beginnt damit, dass wir zur Kenntnis nehmen, was jemand geleistet hat. Das können Leistungen im Arbeitsleben sein. Es können auch andere Leistungen sein: Kinder klug und hingebungsvoll erziehen, eine Krankheit, einen Verlust, eine Gefangenschaft mit Haltung überstehen, die Mühe eines schmerzhaften Reifungsprozesses auf sich nehmen.

Anerkennung heißt zunächst: die Leistung sehen und richtig gewichten. Das Gegenteil ist: wegsehen und die Leistung ignorieren, oder auch geringschätzen, was getan wurde. Zur Kenntnis nehmen genügt nicht. Anerkennung ist nicht eine Einstellung, die bei mir alleine bleibt. Es ist eine gezeigte Einstellung, eine, von der der andere erfahren soll. Man kann Anerkennung nicht nur dadurch verweigern, dass man die Augen verschließt, sondern auch dadurch, dass man tut, als ob man nichts gesehen hätte. Anerkennung ist nicht nur eine Einstellung, sondern eine manifestierte Einstellung, die den anderen erreicht.

Anerkennung ist Wertschätzung. Ihr Feind ist Geringschätzung. Doch auch gezeigte Wertschätzung reicht für volle Anerkennung noch nicht. Die Wertschätzung muss einen Unterschied im Verhalten machen. Wenn die Anerkennung keinen Ausdruck im Tun findet, dann bewirkt sie auch nicht, was echte Anerkennung bewirkt: dass sich, weil man mir ein neues Verhalten entgegenbringt, die Begegnung insgesamt verändert, im äußeren Stil, aber auch in den Gefühlen. Denn, das ist es, worauf es bei Anerkennung ankommt: dass Begegnungen durch sie reicher und tiefer werden. Das ist ihr Beitrag zur Würde.

Peter Bieri "Eine Art zu leben - Über die Vielfalt menschlicher Würde"

Peter Bieri (* 23. Juni 1944 in Bern, Pseudonym: Pascal Mercier) ist ein Schweizer Philosoph und Schriftsteller. Als Pascal Mercier wurde er mit seinem erfolgreichen Roman "Nachtzug nach Lissabon" bekannt. http://de.wikipedia.org/wiki/Peter_Bieri

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